Seit Mitte August halten die Monsunschauer an. Für einige
Regionen Indiens bedeutet diese Jahreszeit pausenlos anhaltenden Regen über
Wochen. Im gemäßigten Klima Bangalores dagegen regnet es ungefähr zweimal täglich,
am Nachmittag und im Verlauf der Nacht. In diesem Jahr ist der Monsun
außergewöhnlich heftig, innerhalb von einem Monat wurde die Niederschlagsmenge,
die im Durchschnitt im ganzen Jahr fällt, überschritten. Der ungewöhnlich
heftige Monsun hat in breiten Landstrichen zu heftigen Überschwemmungen geführt
und Zerstörungen angerichtet, die ich mir nicht vorstellen mag, hier vor Ort
sind nur ausbleibende Besucher, die an überschwemmten Straßen scheitern,
Zeichen der Katastrophe.
Der Monsun in Bangalore hat viele Gesichter.
Nach einem wolkigen Vormittag machen wir es uns in der
Mittagspause in der Bibliothek bequem, und öffnen die Fenster, weil die Luft
nach Regen riecht. Donner knurrt, die Wolken über uns machen sich zum Sprung
bereit, die Luft ist kitzlig von Gewitterspannung und dann platscht der erste
Tropfen schwer zu Boden, im nächsten Moment folgen Millionen seiner Art und vor
den Fenstern ist nur noch eine Wand aus Wasser. Es regnet keine Bindfäden
sondern ganze Drahtseile, die die hohen Kokospalmen unter sich biegen, als ob
sie zerbrechen sollten. Draußen rauscht es so laut, dass wir einander nicht
mehr verstehen können. Es blitzt ein paar Mal, Donner grollt, nur 20 Minuten
später ist der Spuk vorbei und ein unschuldiger Sommerregen raschelt zu Boden.
Den Tee nach der Mittagspause nehmen wir im Wohnzimmer statt draußen ein und
der Tag nimmt seinen Gang.
In unserer 40 köpfigen Gemeinschaft wird eine Menge Wäsche
gewaschen, die jeden Tag in der nicht immer zuverlässigen Sonne trocknet. Wenn
zur Mittagszeit der Himmel dunkel wird und die Luft etwas dicker, unterbrechen
wir, was immer wir gerade tun, mit dem Ruf „We have to save the laundry!“ und
hechten auf das Dach um die sonnengewärmten Kleider noch vor dem Platzregen von
den Leinen zu reißen und ins Trockene zu bringen. Ist das erledigt, darf der
Workshop, das Essen, das Meeting weitergehen.
Die Tage im Camphill enden zwei Stunden, nachdem die
Dunkelheit hereinbricht. Vom Haus Antaranga, in dem ich arbeite, laufe ich also
im Dunkeln zum Haus Santvana, in dem ich schlafe. Häufig funkeln Sterne aus
fremden Positionen hinunter, verbergen sich dann schnell wieder hinter den
langsam ziehenden Wolken. Eulen und Insekten singen die Symphonie der Nacht in
tausend Stimmen. Vor dem nachtblauen Himmel heben sich die Baumwipfel
pechschwarz ab, über denen nicht selten Schwärme riesiger Fledermäuse ihre
Kreise ziehen – ob es Flughunde sind oder blutrünstige Vampire fällt mir als
Laie schwer zu beurteilen, doch die Flügelspannweite von mindestens 50 cm lässt
mich auf letzteres tippen.
So sind die friedlichen Nächte, in denen wir gemeinsam auf den Wasserturm klettern und auf das Dorf schauen.
So sind die friedlichen Nächte, in denen wir gemeinsam auf den Wasserturm klettern und auf das Dorf schauen.
Doch zur Monsunzeit gehören Abende, in denen gespannte
Stille herrscht und der Himmel völlig dunkel ist, bis plötzlich ein violetter
Blitz den Himmel zerschneidet und finsterer Donner poltert, alle paar Minuten
etwas näher. Dann ertönt ein Rascheln in den Palmen und der Himmel öffnet seine
Pforten, der Regen rauscht darnieder als gäbe es kein Morgen und wenig später
ist die Straße ein rauschender Bach, aus dem nur die Sitzbänke ragen, auf denen
ich meinen Weg zwischen den Häusern zurücklege bis der Sprung ins kalte Wasser
unvermeidlich ist. Adrenalin schießt mir in die Adern, von allen Seiten tönt
das unfassbar lautes Rauschen des Wassers, das mich von oben durchnässt, durch
das ich wate, es knallt der Donner ohrenbetäubend. Der Regen spült in dieser
Nacht Unmengen von Sand vom oberen Teil des Grundstückes nach unten in den
Garten. Das frisch gepflanzte Gemüse ist Geschichte, stattdessen macht sich der
Gartenworkshop daran, den Sand von der Straße zu schaufeln und in die kleinen ausgespülten Gräben zu füllen.
Nach einer verregneten Nacht geht die Sonne auf, so freundlich strahlend, als wollte sie ihre Abwesenheit wett machen. Gegen halb acht sitzen wir auf den Bänken und trinken den ersten Tee, als die Sonne hinter dem Haus Santvana zum Vorschein kommt und zwischen den Blättern der Palmen feine Straßen entstehen, gemacht aus Regen und Licht, wie schwebender Silberstaub, durch den die Spinnen Fäden aus Gold gewoben haben, als wollten sie ihn einfangen und für sich behalten. Die Straßen treffen auf die Bäume, unsere Füße und Gesichter, es sieht aus wie eine Segnung des Camphills.
Eines Nachmittags, es ist recht dunkel, sodass wir uns zum ersten Mal fragen, wo im Workshophaus eigentlich die Lichter angehen, werden wir von erstaunlich wenigen Mücken geplagt. Mit angestrengten Augen sind wir bei der Arbeit, wir weben in kleinen Rahmen und riskieren nur ab und zu einen Blick aus dem Fenster, die typische Spannung, die Regen verspricht, liegt in der Luft. Bedrohlich rumpelt es von draußen, die Minuten ziehen sich lang und länger und dann platzt die schwarze Wolke wie ein Wasserballon, draußen geht ein Unwetter nieder, das das Gras zerstampft, die Büsche schrumpfen lässt und Bäume nieder drückt. Auf dem Dach trommelt es wie aus tausend Pauken und durch jedes offene Fenster sprüht das Nass. Wie gebannt vom Anblick der grauen Wasserwand dauert es eine Weile, bis wir merken, dass es auf unsere Köpfe tropft und im Gebetsraum bereits eine große Pfütze den Boden ziert. Den Rückweg nach der Arbeit treten wir bedächtig an, jeder Mitarbeiter nimmt ein oder zwei Friends unter seinen Schirm und tapst durch die Pfützen bis unters Vordach, um für die Zurückgebliebenen eilends kehrtzumachen. Die meisten Friends werden behandelt, als seien sie aus Zucker, denn sie sind anfällig für Erkältungen, die in 90% der Fälle das Ausmaß einer ausgewachsenen Männergrippe annehmen und daher tunlichst vermieden werden sollen.
Nicht selten bringen die Gewitter die in den oberen Etagen
einquartierten Mitarbeiter um den Schlaf, die Geräuschkulisse lässt vermuten,
dass die Niagarafälle zeitweise über das Camphill umverlegt wurden. Nach
solchen Nächten ist es auch wahrscheinlich, dass der Sitzkreis im Garten zum
Swimmingpool verwandelt ist.
Der "Swimmingpool" unter normalen Umständen: Ein Sitzkreis |
An einigen Sonntagen musste wegen Regen und/oder Matsch der
zweistündige Spaziergang ausfallen, stattdessen versuchten wir Boote für den
Pool zu bauen (und scheiterten) oder genossen es, gemeinsam einen Film
anzuschauen. Noch nie habe ich ein so begeistertes Publikum erlebt, das zur Filmmusik
tanzt, bei jeder komischen Szene in Gelächter ausbricht und am Ende des Filmes
Beifall klatscht.
Im Verlaufe der Wochen stieg die Feuchtigkeit auch zunehmend
in die Kellerräume, wo ich nächtige, sie sind dunkel und wurden sehr klamm, was
zu appetitlichen Auswirkungen führte: Wir kämpften mit schimmelnden Büchern,
Hüten, Gürteln, Holzgegenständen und sogar unsere Pässe wurden grau meliert,
was die Wohnsituation insgesamt doch eher ungemütlich machte. Die Situation
kulminierte schließlich in der völligen Überflutung der Kelleretage, wo das
Wasser an mehreren Stellen ununterbrochen aus den unteren Enden der Wände
quoll. Das Wasser stand bis zu 20 cm hoch und was zu niedrig gelagert war, war
völlig durchnässt – darunter auch ein Gast, der mit Matratze auf dem Boden
schlief. Zu unserem ausgesprochenen
Glück schliefen wir in den Flutnächten nicht in unserem Zimmer, sodass uns die
katastrophalsten Auswirkungen des Monsuns erspart blieben.