3.9.17

Das erste Mal in Bangalore



10.08.2017



Zur morgendlichen Hauptverkehrszeit erschlägt uns beim Verlassen des Camphills der Lärm der Hauptstraße. Knatternde Motoren, ohrenbetäubendes Hupen von bemalten und mit Blumen geschmückten LkWs, rasselnde Busse, die schon seit vielen Jahren keine HU mehr bestehen würden sind so brechend voll, dass sich Mitfahrende an die offene Tür stellen; dazwischen Hunde, Kühe, Menschen. Die Frauen in Saris tragen mindestens ein Bindi (Punkt zwischen den Augen, der hier in allen Farben getragen wird), Mädchen in Schuluniform schleppen überdimensionierte Rucksäcke, über denen Zöpfe mit frisch duftenden Jasminblütenketten baumeln. Die Männer im Polohemd lehnen sich lässig gegen Motorräder, bis ein Bus langsamer wird. An der Bushaltestelle, dem zweiten Baum im Dorf, kommt dann Bewegung auf, wir fragen den Fahrer, ob er in die richtige Richtung fährt und springen auf. Der Schaffner kassiert 50 Cent für 45 Minuten Fahrt, die Busse mit Klimaanlage kosten das Fünffache und erinnern schon eher an vertraute BVG Gefährte mit deutlich mehr Stehplätzen. Noch schicker sind nur die abgedunkelten „Partybusse“, die ab und an mit dröhnender Musik, bunten Wimpeln und aufdringlichen LEDs im Verkehr auftauchen. Im Stop and Go des geordneten Verkehrschaos‘ wird im gewöhnlichen Bus gestolpert und gerempelt, wir sind froh, dass die Frauen vorn und die Männer hinten im Bus sitzen, denn die Berührung mit fremden Körpern ist nicht zu vermeiden und mit Geschlechtertrennung zu ertragen. An den mit Flyern zugekleisterten Fenstern ziehen werbende Privatschulen, Straßenstände, Hütten, riesige Bankgebäude und hupende Mopeds vorüber. Der Bus hält, als der Fahrer sein Frühstück am Straßenrand kauft, einen Busfahrplan gibt es ohnehin nicht, wir warten, neidisch auf das duftende Essen. Zerfetzte Werbetafeln überragen exotische Bäume in deren Schatten Früchte verkauft werden, die uns ein Rätsel sind. Daneben hängen Stellenausschreibungen, bei denen das Monatsgehalt größer gedruckt ist als die Position, Mauern und Böden sind geschmückt von Rangolis. An mancher Ampelkreuzung türmt sich Müll, an anderen stehen Eukalyptusbäume, durch deren Blätter die Sonne Muster auf den Bürgersteig zeichnet. Als wir aussteigen, riecht die Luft nach Abgasen und monsunnassem Asphalt. Ein Fluss von Menschen reißt uns mit und erst nach einigen Stunden mangelhafter Orientierung werden wir im Cubbon Park wieder angespült, in dem wir ein namenloses Gericht einer mobilen Straßenverkäuferin genießen, serviert in Bananenblatt und Zeitungspapier, mit Plastiklöffel, den ich links liegen lasse, denn eine Woche Übung genügt, um alles mit dem Fingerlöffel zu verzehren. Der Park ist leer, abstrakte Kunst und ein paar Steine sind auf dem kurz geschorenen Rasen verteilt, der mich an Londoner Parks erinnert. Ein gestreiftes Eichhörnchen huscht durch die Bäume und zieht die Aufmerksamkeit eines Streuners auf sich, Vögel flattern von Baum zu Baum. Fünfzig Meter weiter dröhnt die Straße, die mitten durch das Grün führt. An ihrem Rand verkauft ein Mann Zuckerrohrsaft. Ein Zweimeterstück der schilfähnlichen Pflanze wird durch eine Presse, die ein laut stotternder Dieselmotor betreibt, geführt, gefaltet und erneut gepresst, bis nur noch Fasern der Sprossachse übrig sind. Ein Becher schaumiges Getränk ist gewonnen, es schmeckt dank der zugegebenen frischen Zitrone nach gesunder Limonade. Nachtisch.
In einem Geschäft, in dem von jedem Kleiderbügel alle Farben des Regenbogens strahlen, werden mir ein Königsblauer, ein Warmorangener, ein bunt Gemusterter und ein völlig perfekter Sari angelegt. Manchmal kann man Glück kaufen.


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