10.08.2017
Zur morgendlichen Hauptverkehrszeit erschlägt uns beim
Verlassen des Camphills der Lärm der Hauptstraße. Knatternde Motoren, ohrenbetäubendes
Hupen von bemalten und mit Blumen geschmückten LkWs, rasselnde Busse, die schon
seit vielen Jahren keine HU mehr bestehen würden sind so brechend voll, dass
sich Mitfahrende an die offene Tür stellen; dazwischen Hunde, Kühe, Menschen. Die
Frauen in Saris tragen mindestens ein Bindi (Punkt zwischen den Augen, der hier
in allen Farben getragen wird), Mädchen in Schuluniform schleppen
überdimensionierte Rucksäcke, über denen Zöpfe mit frisch duftenden
Jasminblütenketten baumeln. Die Männer im Polohemd lehnen sich lässig gegen Motorräder,
bis ein Bus langsamer wird. An der Bushaltestelle, dem zweiten Baum im Dorf,
kommt dann Bewegung auf, wir fragen den Fahrer, ob er in die richtige Richtung
fährt und springen auf. Der Schaffner kassiert 50 Cent für 45 Minuten Fahrt,
die Busse mit Klimaanlage kosten das Fünffache und erinnern schon eher an vertraute
BVG Gefährte mit deutlich mehr Stehplätzen. Noch schicker sind nur die
abgedunkelten „Partybusse“, die ab und an mit dröhnender Musik, bunten Wimpeln
und aufdringlichen LEDs im Verkehr auftauchen. Im Stop and Go des geordneten
Verkehrschaos‘ wird im gewöhnlichen Bus gestolpert und gerempelt, wir sind
froh, dass die Frauen vorn und die Männer hinten im Bus sitzen, denn die
Berührung mit fremden Körpern ist nicht zu vermeiden und mit Geschlechtertrennung
zu ertragen. An den mit Flyern zugekleisterten Fenstern ziehen werbende Privatschulen,
Straßenstände, Hütten, riesige Bankgebäude und hupende Mopeds vorüber. Der Bus
hält, als der Fahrer sein Frühstück am Straßenrand kauft, einen Busfahrplan gibt
es ohnehin nicht, wir warten, neidisch auf das duftende Essen. Zerfetzte
Werbetafeln überragen exotische Bäume in deren Schatten Früchte verkauft
werden, die uns ein Rätsel sind. Daneben hängen Stellenausschreibungen, bei
denen das Monatsgehalt größer gedruckt ist als die Position, Mauern und Böden
sind geschmückt von Rangolis. An mancher Ampelkreuzung türmt sich Müll, an
anderen stehen Eukalyptusbäume, durch deren Blätter die Sonne Muster auf den
Bürgersteig zeichnet. Als wir aussteigen, riecht die Luft nach Abgasen und monsunnassem
Asphalt. Ein Fluss von Menschen reißt uns mit und erst nach einigen Stunden
mangelhafter Orientierung werden wir im Cubbon Park wieder angespült, in dem
wir ein namenloses Gericht einer mobilen Straßenverkäuferin genießen, serviert
in Bananenblatt und Zeitungspapier, mit Plastiklöffel, den ich links liegen
lasse, denn eine Woche Übung genügt, um alles mit dem Fingerlöffel zu
verzehren. Der Park ist leer, abstrakte Kunst und ein paar Steine sind auf dem
kurz geschorenen Rasen verteilt, der mich an Londoner Parks erinnert. Ein
gestreiftes Eichhörnchen huscht durch die Bäume und zieht die Aufmerksamkeit
eines Streuners auf sich, Vögel flattern von Baum zu Baum. Fünfzig Meter weiter
dröhnt die Straße, die mitten durch das Grün führt. An ihrem Rand verkauft ein
Mann Zuckerrohrsaft. Ein Zweimeterstück der schilfähnlichen Pflanze wird durch
eine Presse, die ein laut stotternder Dieselmotor betreibt, geführt, gefaltet
und erneut gepresst, bis nur noch Fasern der Sprossachse übrig sind. Ein Becher
schaumiges Getränk ist gewonnen, es schmeckt dank der zugegebenen frischen
Zitrone nach gesunder Limonade. Nachtisch.
In einem Geschäft, in dem von jedem Kleiderbügel alle Farben des Regenbogens strahlen, werden mir ein Königsblauer, ein Warmorangener, ein bunt Gemusterter und ein völlig perfekter Sari angelegt. Manchmal kann man Glück kaufen.
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