19.11. –
25.11.2017
Nach Wochen von stetig steigender Spannung, enthusiastischem
Packen und einer sehr kurzen Nacht versammeln sich 24 Special Friends, 19 Mitarbeiter,
zwei Köchinnen und ein Busfahrer in der Morgendämmerung vor den Toren von
Friends of Camphill India. Wir haben uns zu Teams zusammengetan, sodass ein
Mitarbeiter ein oder zwei Friends auf der Reise begleitet. Ich stehe neben
Javeria in der Morgenbrise, in meiner Tasche knistert eine Kotztüte, die mir
dringend empfohlen wurde, da Javeria Urlaub liebt
– so sehr, dass ihr vor Aufregung und vom Rütteln des Busses zuverlässig
speiübel wird. Im Bus setze ich mich also auf den Fensterplatz und bastle eine
Schlafmaske aus meinem Schal, um sie von der vorbeiziehenden Vorstadt
abzuschirmen. Wenig später sind wir selig aufeinander eingeschlafen.
Mit einigen Zwischenstopps für das leibliche Wohl – von denen
Javeria ausgeschlossen bleibt, erfolgreich, sie übergibt sich nicht - fahren wir neun Stunden gen Süden bis wir die
Serpentinen hinauf zum PN Heritage erreichen. Dieses
Ressort liegt inmitten von hauseigenen Kaffeeplantagen auf einem sonnigen Hügel,
von dem sich ein idyllischer Blick auf Reisfelder, weidende Kühe und mehr Kaffeeplantagen
eröffnet. Von weitem sehen diese aus wie Wälder, denn der Kaffee robusta
benötigt den Schatten von hochgewachsenen Bäumen. In schnurgeraden Reihen
wachen sie über die Kaffeebüsche mit ihren dunkelgrünen, glänzenden Blättern,
deren Äste von grünen, später purpurnen Beeren übersät sind. Unter einem
dünnen, süßen Fruchtfleisch verbirgt sich die Kaffeebohne, zwei weiße Hälften
gemeinsam ein Rund ergebend. Roh und bleich ist sie völlig geschmacklos. An den
schlanken Stämmen der Schattenbäume rankt eine unauffällige Kletterpflanze in
die Höhe, die Kaskaden kleiner Kugeln als Früchte trägt. Diese schmecken auch
im rohen Zustand schon eindeutig: Es ist Pfeffer.
Des Weiteren sind von hier die vielen Vögel, die die Umgebung
bevölkern, zu sehen und zu hören. Besonders prominent sind die Beecatcher, etwas
größer als Spatzen, grasgrün und mit einer dreieckigen Silhouette während des
libellenartigen Fluges. Auch die schneeweißen Kuhreiher sind aus weiter Ferne
zu entdecken, wenn sie hinter den Rindern herschreiten und auf der Haut sowie
im Dung der Tiere nach Insekten suchen. Einen besonders lauten Gesang haben die
Barbets, die ähnlich wie Frösche klingen. Die Vogelvielfalt findet sich auch in unseren Zimmern
wieder, die die Namen einheimischer Vögel tragen. Zu siebt wohen wir diese Woche im Zimmer Brahmini Kites.
Wir verbringen den Großteil des Urlaubs bei Sonnenschein und
milder Wärme im schön gestalteten Ressort, spielen Federball, Basketball,
Fußball, Frisbee, Schach, malen Postkarten an unsere Familien bis die
Blockflöte uns zum Essen ruft und wir ein Gebet singen, bevor wir uns an den hervorragenden
Mahlzeiten laben, die gerade die Camphill-Köchinnen sehr genießen, so sie doch
ausnahmsweise keinen Finger rühren mussten.
„No bread
without Sun, no Sun without God, no Soul without Life, no Life without Love“
“Kein Brot ohne Sonne, keine Sonne ohne Gott, keine Seele
ohne Leben, kein Leben ohne Liebe”
Über das Highlight des Estates sind sich jedoch alle einig.
Der Swimmingpool begeistert alle Mitgereisten gleichermaßen. Wenn es Zeit für
das gemeinsame Schwimmen wird, springen Einzelne ausgelassen ins Nass und rufen
die Anderen begeistert hinein, lachend springen Coworker hinterher und nehmen abwechselnd
Friends auf den Armen mit ins Wasser oder helfen Mitarbeitern, die selbst nicht
schwimmen können. Es ist ein chaotisches, lautes, wunderbares Bild, erfüllt von
Lebensfreude, dem ich stundenlang auch nur zusehen kann.
Zu einem gelungenen Urlaub gehören natürlich Ausflüge ins
Umland. Das Dubare Elephant Camp ist unser erstes Ziel, zu dem wir uns früh am
Morgen aufmachen, um vom ersten Augenblick an beim ausführlichen Bad der
Elefanten dabei zu sein. Die Dickhäuter schwanken einer nach dem anderen
würdevoll hinunter ins Wasser, auf ihrem Nacken klemmt ein Reiter, der sie mit
einem spitzen Haken in die richtige Richtung weist und zum Hinlegen im Wasser
auffordert. Kälber, Kühe und Bullen leisten Folge, nur bei einem großen Bullen
regt sich Widerstand, er trompetet und weicht aus, ist noch nicht daran
gewöhnt, Anweisungen zu erhalten. Die Elefanten stammen aus den umliegenden
Wäldern und verdienen das Geld für ihre eigene Pflege und den Schutz ihrer wild
lebenden Verwandten. Mit dem größten Teil der Community begeben wir uns nach
und nach ebenfalls ins Wasser, wo die Elefanten mit Wasser bespritzt und mit
den Händen abgerieben werden. Die dicken Borsten auf ihrer festen Haut, die Quasten
an ihren Schwänzen, die Löcher in ihren dünnen Ohren und die riesigen Stoßzähne
dürfen wir bewundern und berühren. Die Augen, hellbraun und tiefsinnig blicken
aus seltsamen Gesichtern aus denen graue Schlangen wachsen, die ständig in
Bewegung sind, sich kringeln, prusten, spritzen und greifen. Und ich bin
überwältigt, dass ich schon im Kindergartenalter zum ersten Mal einem Elefanten
begegnet bin, abertausende Kilometer entfernt von seiner Heimat.
Was ich an diesem Tag außerdem gelernt habe: Boote können
sehr aufregend sein. Auf Hindi heißt Elefant Hathi und Baloo Bär, wie im
Dschungelbuch.
Tags darauf stehen die ebenso aufregenden Camphill Olympics
an. Red Warriors, Blue Rockets, Green Geese und Orange Backache Bunch treten
gegeneinander an in einer Reihe von Spielen. Wir werfen, rennen, essen um die
Wette, tanzen und heben einander in die Höhe. Ein gut geplanter, anstrengender
Vormittag kulminiert in der Siegerehrung mit Lebkuchenmedaillen in der mein
Team Blau sogar den zweiten Platz belegt! In der Abenddämmerung tanzen wir
ausgelassen zu indischem Pop, den gelungenen Tag und den 33. Geburtstag von
Neha gilt es zu feiern.
Um auch die kulturellen Bedürfnisse zu befriedigen, machen
wir uns anderentags auf, um den Goldenen Tempel zu besuchen, der Teil eines im
letzten Jahrhundert gegründeten, etwa 3.000 Mönche starken buddhistischen
Klosters ist, das, den Souvenirshops und Menschenmengen nach zu urteilen, ein must see für jeden Coorg-Reisenden ist.
Viel zu schnell durchwandern wir die Anlage, sitzen dann eine Weile in einem
kleineren Gebetsraum. Hinter dem Absperrseil treibt sich ein Kater herum,
streift vorbei an Öllampen, macht halt vor den hinter Glas aufbewahrten
vergoldeten Buddhastatuen und schärft sich die Krallen an einem abgenutzten
Gebetsteppich, wandert über den Marmorfußboden an uns vorbei ohne uns auch nur
einen Blick zu gönnen und gleitet schließlich in den Hof, das offene Fenster wie
ein Portal in eine andere Welt im Kontrast zu den Wandfresken mit strahlend grünen
Hügeln auf denen weiß- und grünhäutige Buddhas meditieren unter sattblau bemalter Himmelsdecke.
Zu unserem Glück besteht Francis darauf, das Gespräch mit einem Mönch zu suchen
und ein alter Herr mit tausend Lachfalten nimmt sich eine halbe Stunde Zeit, um
uns eine zentrale Lektion mit auf den Weg zu geben. Lernt fleißig, investiert
all eure Bemühungen in euer Wissen, denn nur aus Wissen folgt Können. Harte
Arbeit und Durchhaltevermögen machen alles möglich.
Am letzten Abend des Urlaubs veranstalten wir einen
kulturellen Abend für unsere Gastgeber, in dem wir unsere wohlbekannten Lieder
singen, tanzen und Zeit für die Reflektion unserer Zeit finden, als ein jeder
für etwas dankt, das wir teilen durften. In einer weiteren Runde äußert jeder
von uns einen Wunsch für sich selbst, ich sage, ich wünschte ich wäre mutiger
und muss in der nächsten Runde schreien: Ich bin mutig! Und die Runde antwortet
mir, ich sei mutig, ein feierlicher und starker Moment von Ehrlichkeit und gegenseitigem
Halt.
Als wir am Samstag schließlich zurückkehren, haben wir den Eindruck,
weit länger als eine Woche fort gewesen zu sein. So lang erschien mir die Zeit
nicht seit einer allerersten Woche im Camphill, so viel haben wir gemeinsam
erlebt. Das Fremdeln mit dem Alltag hält jedoch nicht lang an, schon stehen wir
beim ersten Abwasch und am nächsten Morgen läutet die Glocke pünktlich zum
Wecken…
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