Friends of Camphill India. Das ist eine Welt für sich. Eine Welt,
die mit meiner deutschen Heimat kaum etwas gemeinsam hat und doch nach nur
Stunden die Geborgenheit von Zuhause ausstrahlt.
Die bekannten Gesichter vom Seminar lassen vom ersten Tag an
kein Gefühl von Fremde zu. Die warme Freundlichkeit der uns Emfangenden und der
wunderbar chaotische Garten voller unbekannter Pflanzen, leuchtenden Blüten und
exotischen Früchten, unter dem eine natürliche Abwassserfilteranlage liegt, umgeben
mich, auf Anhieb fühle ich mich wohl.
Die indischen Namen von Menschen, Tieren,
Früchten, Gerichten, Häusern machen mir große Schwierigkeiten, aber dafür haben
alle Verständnis – schließlich bin ich ja nicht die erste deutsche Freiwillige,
in drei Bilderrahmen im Haus Panchanga sind hunderte Gesichter der 17
Freiwilligen-Generationen vor uns zu sehen, davon schätzungsweise 60% Deutsche.
Sie haben uns den Weg geebnet, Bürokratisches und Kulturelles wurde schon oft
durchgespielt und vor allem Gründerin Francis weiß, worauf es ankommt. Sie
nimmt sich viel Zeit für uns und vermittelt ernsthaftes Interesse an unseren
Gedanken über das kommende Jahr, beantwortet geduldig alle Fragen und beweist
sich als tolle Ansprechpartnerin. Sie wirft kritische Blicke, die Fauxpas‘
verhindern. Das betrifft in erster Linie
die Kleiderordnung, mit der wir uns an die neue Umgebung anpassen müssen. Es
stellt sich heraus, dass das einzige mitgebrachte
Kleidungsstück, das ich hier anziehen kann, eine Kurta ist, die ich kurz vor
meiner Abreise geschenkt bekommen habe. Die Kurta, ein langes, mit
Seitenschlitzen versehenes Oberteil in Kombination mit einer lockeren Hose, ist
nun mein tägliches Outfit. Die Kleidung darf keine weiblichen Rundungen erahnen
lassen, um vor männlicher Aufmerksamkeit zu schützen – das betrifft die Arbeit
mit den Friends ebenso wie Ausflüge. Ich habe das Glück, dass viele Frauen vor
uns fleißig eingekauft haben und viel zurückgelassen haben, sodass ich ganz
ohne Shopping gut ausgestattet bin.
Gemütlich angezogen darf es losgehen mit der Arbeit. Die
Friends sind neugierig auf Neuankömmlinge und suchen unsere Aufmerksamkeit. Auf
Anhieb wird eine der Hauptlektionen unseres Vorbereitungsseminares wichtig:
Grenzen kennen, Grenzen ziehen. Ich kenne die Grenzen hier nicht und weiß nicht
wie ich sie ziehe, deswegen zieht stattdessen Javeria mich mit sich, um die
Kühe zu begutachten, die streichelzahm sind und einen Teil der Gartenarbeit
übernehmen. Die Bedürfnisse der Friends sind sehr unterschiedlich. Javeria
sucht Aufmerksamkeit, andere brauchen Gesprächspartner, Freunde, wieder andere
nur eine funktionierende Struktur. Es ist für uns, denen all diese Menschen
noch Fremde sind, schwer einzuschätzen, was wir ihnen geben sollen und wollen.
Die junge Bewohnerin Rushita hat in unserer ersten Woche während der wertvollen
Mittagspause den herzergreifenden Wunsch einer „Girls‘ Party“ mit ihren von
Zuhause mitgebrachten Süßigkeiten in den Wohnräumen der Mitarbeiter geäußert – eine
Situation in der wir die Grenzen kennen mussten, um nicht unsere eigenen
Bedürfnisse zu vernachlässigen.
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So manches hier bedarf Gewöhnung, es ist nicht jedes Tier so
wohl bekannt wie die Kühe, die in unserem Garten, neben der Bäckerei oder auf
dem Gehweg umherlaufen. Eine fantastische, unmöglich zu benennende
Vogelvielfalt fällt ins Auge. Über alle Bäume toben graue, gestreifte
Eichhörnchen, zu ihren Wurzeln sitzen riesige Echsen.
Seltener auf Bäumen denn
auf Häusern und Werbetafeln sind Affenfamilien anzutreffen. Draußen und drinnen
plagen uns Moskitos, die meine Beine trotz langen Hosen völlig zerstochen haben.
Im Schlafzimmer haben wir aber auch schon Begegnungen mit Geckos,
Gottesanbeterinnen und Spinnen gemacht, die aber lange nicht so aufregend waren
wie eine riesige Kakerlake, die sich in einem Handtuch im Gemeinschaftsbad
versteckt hatte und unter Geschrei mit einem Besen erschlagen wurde. Auf der
Toilette kann auch mal ein Frosch mit schwarzen Knopfaugen von der Wasserdüse blicken.
Die Abwesenheit von Toilettenpapier ist übrigens verkraftbar, zudem wir das
Glück haben, westliche Toiletten zur Verfügung zu haben. Eine größere Umstellung
ist schon eher die Dusche, für die nicht mehr als 6 Liter gebraucht werden
sollen, die aus einem Stahleimer geschöpft werden. Es gibt warmes Wasser und
eine fest eingeplante Reinigung des Badezimmers, für die ich sehr dankbar bin,
denn Energie für Putzaktionen haben wir in unserer freien Zeit nicht, was sich
im Zustand der Zimmer widerspiegelt.
Als ebenso sehr gewöhnungsbedürftig habe ich die Yogastunde,
die jeden Mittwoch stattfindet, empfunden. Aus der Stadt kommt eine Lehrerin,
die nach zwei Mantren beginnt, im Kommandantenton Bewegungen anzuleiten, die
eher an die Erwärmung im Schulsport erinnern, als an das Yoga, das ich aus
Deutschland kenne. Weder für Atemübungen noch für das Nachspüren im Körper gibt
es Raum, jedes Auf und Ab, jedes Vor und Zurück wird laut mitgezählt. Die
einzigen mir bekannten Asanas sind die Katze und der Baum, der sich für die
meisten Friends als große Herausforderung herausstellt.
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Schon der Alltag im Camphill steckt zu Beginn voller
Überraschungen und spannender Begegnungen. Die ersten Schritte hinaus auf die
Hauptstraße sind jedoch zunächst eine völlige Überforderung von Eindrücken. Für
die Registrierung als ausländische Bewohner brauchen wir Bilder vom Photoshop
im Dorfzentrum. Als wir die ersten Schritte aus dem Schatten der Bäume tun,
brennt plötzlich die Sonne auf unsere Köpfe und Staub in unseren Kehlen. Wir
laufen am Straßenrand, grell hupende Autos, knatternde Rikshas, Motorradfahrer
mit Blechhelmen, bunt geschmückte LKWs kommen uns entgegen, plötzlich ist es zu
laut und zu voll, um sich zu unterhalten. Im Gänsemarsch gehen wir vorbei an Handwerkern,
Obstgeschäften, unmöglich vielen Kiosken und herübersehenden Indern, deren Augen
so dunkel sind wie ihre Haut. Die Friends im Camphill stellen im Gegensatz hierzu eine edle Blässe zur Schau, sonnengeschützt im kleinen Kokospalmenparadies. Im Dorfzentrum turnt ein Affe auf einer Statue
herum, dahinter liegt der Photoshop, der aus ungefähr drei Quadratmetern
Büroraum und einem kleinen, schlecht beleuchteten Studio besteht. Ein explosionsartiger
Blitz brennt sich in unsere Netzhaut und bannt unsere Gesichter auf die
Digitalkamera. Für etwa 3 Euro nehmen wir 3 mal 6 Bilder mit.
In den Seitengassen des Dorfes herrscht eine andere Atmosphäre,
es ist still und eng. Vor den Häusern ist ausnahmslos ein Rangoli gemalt, ein
Kreidemandala, das täglich erneuert wird und traditionell positives Denken in
das Haus bringen sollen. In den komplizierten Designs verfangen sich die negativen
Energien, die in der Außenwelt ebenso vorhanden sind wir positive Energien. So
wird das Haus geschützt und Tag für Tag attraktiv für den Segen der Götter.
Auch vor Antaranga, das Haus in dem ich arbeite, wird jeden Morgen ein neues
Rangoli gemalt, woran ich mich schon einige Male versucht habe. Es macht viel
Freude, die Schwelle gestalten zu dürfen, auch wenn es einiger Übung bedarf.
Deutlich angenehmer als der erste Ausflug ins Dorf sind
unsere abendlichen Besuche des Gateshops, der direkt vor dem Tor der
Nebenstraße liegt, in der wir wohnen. Hier wird heißer Chai serviert, der
jedoch ohne Gewürze gekocht wird. Umso mehr Jaggery (unraffinierter Zuckersirup)
kommt hinein, das wir auch in den vielfältigen Gebäcken wiederfinden. Wir
nehmen sie in Zeitungspapier gewickelt mit zu einem See, der tief unter uns ruhig
im Mondlicht schimmert, umgeben von schroffen Felswänden. Unter jungen Freiwilligen
haben wir so Gelegenheit, die sonst so vollwertige Ernährung mit etwas zu viel
Zucker auszugleichen.
Gateshop |
Ein weiteres Highlight des Camphillalltags sind die
Wochenenden. Die Friends genießen es, eine halbe Stunde später als gewohnt
aufzustehen und den Tag entspannt angehen zu dürfen, statt Workshops gibt es
den Beauty Parlour für alle Ladies, in denen sie mit Fußmassagen und
Gesichtsmasken verwöhnt werden, oder auch Mehindi-Sessions, bei denen ich mein
Glück im kunstvollen Zeichnen mit Henna versucht habe und froh war, dass diese
Tattoos nur temporär sind. Etwas ganz Besonderes ist der Sonntagsspaziergang.
Über 90 Minuten laufen wir über Stock und Stein, wobei sich rührende Pärchen
bilden. Am letzten Sonntag nahmen wir es für ein besonders schönes Ziel sogar
in Kauf, die Hauptstraße zu überqueren, wofür die Autos gestoppt werden und wir
wie eine Herde Schafe in unterschiedlichem Tempo hinüber eilten. Über
schlüpfrige Felsen liefen wir an einer Schlucht vorbei, auf deren Grund Frauen
im Fluss ihre Wäsche wuschen, passierten wunderschön dekorierte Baufahrzeuge,
Felder mit Termitenhügeln, die wie rote Türme aus dem grün ragen und Mauern,
die statt Stacheldraht mit Glasscherben vor Eindringlingen geschützt waren. Ich
stütze Mahitha auf ihrem Weg, die immer wieder strahlend auf Gegenstände zeigte,
die so blau waren wie meine Kurta und mir eine passende Blüte pflückte.
Schließlich fanden wir uns unter dem heiligen Banyan tree wieder, einem
massiven lebendigen Kunstwerk. Wie eine Säulenformation vereinigten sich viele
dicke Stämme zu einer einzigen mächtigen Krone, einem Baum, so riesig wie eine
Kirche. An seinen Stämmen waren viele Götterdarstellungen angebracht und in
seiner Mitte befand sich ein Schrein voller farbenfroher Dekorationen. Als ich
ihn näher betrachten wollte, hielt mich zum Glück der Freund Vishvanath davon
ab, ihn mit meinen Schuhen zu betreten und so den heiligen Ort zu beschmutzen.
2 Kommentare:
Es ist, als würde ich dabei stehen und zuschauen. Sehr schön
superschön geschrieben. Man ist fast dabei, so lebendig schreibst du
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